Mein tätowierter Lebenslauf.

   

13.7.13

mein Geburtsdatum. Zahlen, die in ihrer Symbolhaftigkeit widerstrebend sind, die Glückszahl "7" umrahmt von den Unglückszahlen "13". Hierin ist schon mein ganzes Leben beinhaltet. Doch, meinen "tätowierten Lebenslauf" muß ich schon früher beginnen. Irgendwann im Jahre 1912 fand in Kiel in intimen Marinekreisen ein Fest statt. Es waren außer einigen führenden Direktoren der Germaniawerft nur Offiziere der Kaiserlichen Marine anwesend. Da der Kaiser seine "blauen Jungs" nicht wohl nur deshalb so nannte, da sie blaue Uniform trugen, sondern auch, weil sie tätowiert waren und es auch kaiserlicher Wunsch gewesen sein solo, daß die Offiziere sich tätowieren ließen (Herrentätowierung), sah meine Mutter aus München kommend wohl zum ersten mal gute Tätowierungen, die man sich nicht scheute zu zeigen. Es wird überliefert, daß es sich um ein Kostümfest gehandelt haben soll, und ein Offizier habe scherzhafterweise einen Tätowierkünstler gemimt und gleichzeitig seinen Körper, der wundervoll geschmückt gewesen sein soll, gezeigt haben.

 

Meine Mutter soll ob dieser Tätowierungen sehr begeistert gewesen sein und in jener Nacht soll ich gezeugt worden sein. Es geschieht ja so viel zwischen Himmel und Erde von dem wir uns nichts träumen lassen. Kann es nicht sein, daß dadurch meine Vorliebe für das tätowieren herrührt?

 

Als Kind lebte ich wohlbehütet und umsorgt von viel Dienerschaft in luxuriösen Villen auf. Es war ein Lebensstandart, wie man ihn heute nicht mehr findet. Es wurde als selbstverständlich angesehen, daß nur die gesellschaftsfähigen Menschen ihre Daseinsberechtigung haben und alle anderen Diener seien, uns zu bedienen und damit eine minderwertige Klasse, mit denen man sich nicht abgeben dürfe. Als Kind geriet ich damit schon in Konflikt, denn ich fand dieses gemeine Volk genau so nett, lustig und anständig wie meine Gleichgeborenen, im Gegenteil, sie waren unkomplizierter und man durfte sagen, was man wollte und man mußte sich nicht immer beherrschend benehmen.

 

In jener Zeit wohnten wir in Kiel in der Bismarckallee. Benachbart war das "Haus Forsteck", wohl die größte Villa in Kiel, die inmitten einem riesigen

Park- und Waldgebiet direkt an der Kieler Förde lag. Dort wohnte auch der Neffe Alois Dwenger eines 50 Millionen schweren Kaufmannes. Mit ihm habe ich mich angefreundet und diese Freundschaft hielt bis gegen Kriegsende, bis Alois durch Heckenschützen vor Sewastopol fiel. Nun, in dem Park konnten wir tun und lassen, was wir wollten, es gab dort Gartenlauben, ein Schweizerhaus, Teiche und Boote, Strand und Badeplätze. Die Bediensteten haben uns so manches Mal suchen müssen, wenn wir nicht rechtzeitig daheim waren.

 

Oftmals war der Diener Fritz daran schuld, Fritz hieß jeder Diener im Hause Forsteck, Herr und Frau Diedrichsen wollten sich bei Personalwechsel nicht immer umgewöhnen müssen. Also Fritz hatte sich sein Zimmer wie eine Schiffskabine eingerichtet, mit Schlafkoje und vielen Erinnerungsstücken aus seiner Seefahrerzeit. Doch nicht nur das allein zog uns immer wieder zu ihm, es waren seine Tätowierungen, die uns immer wieder begeisterten und die er auch nie müde wurde, uns zu zeigen.

 

Ja, Fritz war tätowiert. Man sah es erst, wenn er seine weißen Handschuhe auszog, die er während des Dienstes als hochherrschaftlicher Diener stets tragen mußte. Wir bewunderten dann den Anker, die Sterne und Ringe auf seinen Händen. Er erzählte dann, wann und wo er sich hat tätowieren lassen. Daß wir als Jungens seinen Geschichten aus der Segelschiffzeit und seine Kriegserlebnisse begierig anhörten, wen kann es wundern. Wenn Fritz besonders gut aufgelegt war, zeigte er uns auch die große Viermastbark auf seiner Brust, die unter seinem dunklen Haarurwald hindurchschimmerte.

 

Damals wurde wohl mein Interesse an den Tätowierungen geweckt, denn ich begann zu beobachten und Ausschau zu halten, ob andere Männer tätowiert waren. So sah ich auch einmal in der Straßenbahn einen Mann mit tätowierten Armen. Es waren wohl lauter nackte Frauen darauf abgebildet. Meine Mutter darauf ansprechend, meinte dies, das sei nicht schön und unanständig. Sie bezog das wohl auf die Ausführung der Tätowierung und auf die Darstellung, ich jedoch mehr allgemein auf das Wesen der Tätowierung überhaupt.  - Das gab mir wohl den Knacks, daß ich später nie mehr mit meinen Eltern darüber sprach und die Tätowiererei als etwas Unanständiges betrachtete, obwohl ich es doch so sehr bewunderte und mich danach sehnte, selbst tätowiert zu sein.

 

Doch soweit war es noch lange nicht, ich war ja erst 8 Jahre alt und es blieb nur beim Bewundern jeglicher Tätowierung. So schlich ich auch öfters dann zu dem Hausmeister meines Onkels. Er wohnt in der benachbarten Villa, direkt am Wasser gelegen, ähnlich großartig wie "Haus Forsteck". Der Hausmeister hatte auch stark tätowierte Arme. An Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern, er soll aber auch voll tätowiert gewesen sein als ehemaliger Matrose der Kaiserlichen Marine.

 

Durch diesen Onkel - ein Bruder meiner Mutter - Dr. Hermann Anschütz-Kämpfe, der den Kreiselkompass erfunden hatte, zogen wir 1922 nach Neumühlen-Diedrichsdorf, in ein großes Haus, neben seiner Fabrik. Mein Vater als Dipl.Ing. war maßgebend an der Weiterentwicklung des Kreiselkompasses beteiligt.

 

Diese Haus mit seinen über 30 Räumen benötigte natürlich viel Dienerschaft, zumal meine Eltern die Geselligkeit pflegten und oft Einladungen gaben. Ich durfte dann in einem weißen Matrosenanzug servieren und war wunschlos glücklich. Wenn meine Eltern geahnt hätten, wie gern ich zur See gefahren wäre, dann wäre wohl vieles anders geworden. Da das Haus am Wasser lag, uns neben einem Faltboot, Ruderboot, Segelboot auch ein Motorboot zur Verfügung stand - letzteres durfte ich aber nur im Beisein des Bootsführers fahren - war ich mehr auf und im Wasser als hinter den Büchern zu finden. Diese interessierten mich nur, wenn etwas über Tätowierungen darin stand. Einige Reisebeschreibungen fand ich im Bücherschrank meiner Eltern, aber die gesuchte Ausbeute war gering.

 

Mit Schulkameraden wagte ich nicht über mein Leib- und Magenthema zu sprechen. Es gehörte sich einfach nicht! nur mit Loisl wurde dieses Thema noch manchmal berührt, doch auch selten, da wir nun weit auseinander wohnten und sich sein Interesse dem Forstwesen zuwandte. Auch auf deinem Ferienaufenthalt in dem Forsthaus seines 50-Millionen-Onkels stellten wir nur fest, daß sich in den unteren Regionen etwas rührte, aber das war auch alles. Über Tätowierungen wurde nicht gesprochen.

 

Einmal in der Woche mußte ich mit der Blaue Dampferlinie in die Religionsstunde über den Kieler Hafen fahren. Ich freute mich jedes Mal darauf, denn der Weg führte mich an dem Tätowiergeschäft von Blumberg vorbei. Er hatte ein Schaufenster, in dem Vorlagen und Fotos ausgestellt waren. Oftmals stand er auch selbst vor der Tür, auf Kunden wartend. Dann sah man gut seine tätowierten Hände, die bis zu letzten Glied seiner Finger Tätowierungen zeigten. Einmal bin ich auch voll Mutes in den Laden gegangen. Es war niemand drin. Auf einem Schildchen an der Türe stand, daß man klingeln solle, das tat ich dann auch. Voller Herzklopfen harrte ich der Dinge, die da kommen sollten. Das Zimmer war lang und schmal und an den Wänden hingen Zeichnungen von Tätowiermustern. An der hinteren Wand waren die Tätowiermaschinen und Farben auf einem kleinen Tischchen zu sehen.

 

Aus meiner Betrachtung wurde ich durch eine Stimme gerissen die sagt: "Na, min Jung, wat soll dat denn sin?" Herr Blumberg sah wohl an meiner Kleidung, daß ich kein richtiger Kunde sei und mein Verlangen, Fotos von tätowierten Männern zu kaufen, lehnte er ab. so ging ich also davon, teils schweren Herzens, teils erleichtert, daß ich aus diesem für mich doch so großen Abenteuer so gut abgekommen war.

 

Am Hafen war auch ein Fotoladen, der viele Bilder seiner Kunden ausgestellt hatte. Auch die betrachtete ich mir oft, denn es waren Fotos von halbnackten Männern dabei, die ihre Muskeln sehen ließen und manchmal auch Tätowierungen.

 

Hier und da spähte ich auch in die Hafenkneipen und war glücklich, wenn ich blaue Arme sehen konnte. Die Leute anzusprechen, das wagte ich nicht, auch nicht den stark tätowierten Heizer des Dampfers, mit dem ich immer fuhr.

 

Eines Tages sah ich einen ehemaligen Schulkameraden, der auf jedem Handrücken einen großen Stern tätowiert hatte. Aber auch ihn wagte ich nicht anzusprechen. So groß war die Scheu, daß man mich erwischte, wenn ich mich mit Tattoos beschäftigte. Es blieb mir nur das Sehnen danach abends im Bett und die Vorstellung, daß ich mich gerade tätowieren ließe oder selbst stark tätowiert sei.

 

Jedenfalls datiert es seit der Zeit - und das habe ich auch heute noch - daß ich jeden Menschen mit den Augen abtaste, ob er tätowiert ist. Sehe ich jemanden und ich bin allein, so versuche ich heute mit ihm ins Gespräch zu kommen. Damals noch nicht.

 

Ich fuhr mit einem der Boote an die Schiffswerften und hielt nach Matrosen

Ausschau; der erfolg war nicht sehr groß und man sah nicht viel, da meist die Entfernung zu groß war. Ja und in der Badeanstalt war auch nicht viel los in der Beziehung. Doch, einmal saß eine ganze Gruppe Jungens um einen jungen Menschen, der außer an den Armen auch auf der Brust tätowiert war. Er schilderte, wann und wo er es sich hat machen lassen. Ich stellte mich dazu und wäre zu gerne in seiner Haut gesteckt. Doch man jagte mich bald davon, ich gehöre nicht zu ihnen, ich sei ein "Oberer", sie meinten ein höherer Schüler.

 

Bei einem Schwimmfest wurde eine Äquatortaufe gespielt. Neptun, mit langem Seetang behangen, war voll tätowiert! Er war wohl der erste Mensch den ich so sah. Das gab mir einen Stich ins Herz und ich träumte lange von diesem Wundermenschen.

 

Wenn ich alleine war, habe ich mich selbst mit Tinte oft Tattoos aufgemalt, bin dann gerudert und habe meine Tätowierungen stolz gezeigt. Wie glücklich war ich, wenn ich merkte, daß man sich über diese Tattoos, die man wohl für echt hielt, lustig machte. hatte ich doch so den Beweis, daß man sie gesehen hatte.

 

In der Schule tat ich mich schwer. Ich kam mit Nachhilfestunden gerade so mit. Was interessierte mich auch die trockenen Wissenschaft, wo ich doch tätowiert auf Schiffen unter Gleichgesinnten leben wollte. - ich war wohl so 16 Jahre alt, da streikte ich eines Tages. Nachdem ich alles beruhigt hatte, fand ich mich im "Landschulheim am Solling" wieder, eines der exklusivsten Schulinternate. Es war ja unmöglich, daß ich, der ja einmal die Firma meines kinderlosen Onkels übernehmen sollte, eine Lehre machte oder gar zur See fuhr. So fand ich mich dann in mein Schicksal und machte dort recht und schlecht ein durchschnittliches Abitur.

 

Inzwischen war es Ostern 1934 geworden und damit mußte ich zum Arbeitsdienst. In Schafhaus bei Bad Segeberg bezog ich mit etlichen Kameraden eine Baracke, sauber und groß. Mein Gruppenführer war tätowiert! Welche Freude. Er hatte das Motiv: "Glaube, Liebe und Hoffnung" auf dem rechten Unterarm in einer großen Darstellung. Er zeigte sie gerne, war sie doch in vielen Farben ausgeführt. Es war wirklich eine gute Tätowierung. Zudem er auch ein guter und netter Kerl war, befreundete ich mich mit ihm während der Arbeitsdienstzeit. Ihm gegenüber sprach ich auch erstmals von meinem Wunsch tätowiert zu sein. Er hatte Verständnis für meine Lage und tröstete mich: "Wer weiß wie alles kommt, vielleicht bist du einmal mehr tätowiert als ich!"

 

Dann kam ich nach München auf die Technische Hochschule um Physik zu studieren. Es war ein Fiasko. Ich fand mich auf der TH nicht zurecht. Das Corps meines Vaters, dem ich beitrat, konnte mir nicht die nötige Hilfe geben. Dort wurde nur gesoffen.....

 

So meldete ich mich - um allem zu entgehen - die Wehrpflicht abzuleisten. Marine kam ja nicht in Frage, da man sich auf vier Jahre verpflichten mußte, so kam ich nach Itzehoe zur "Leichten Artillerie" Pferde, Exerzieren und nochmals Pferde. Ein Jahr lang. Es war auch nicht mein Wunschtraum.

 

1936 kam ich nach Berlin, um auf der dortigen TH neu zu beginnen. Es war da das gleiche Dilemma. Ich kam einfach nicht mit, trotz ernsthaftem Bemühen. So fuhr ich dann mit meinem Auto, das ich von meinen Eltern geschenkt bekommen hatte, und suchte nach Tätowierungen, vorzugsweise natürlich in Strandbädern. Die Ausbeute war jedoch mager, denn diejenigen, die ich suchte mußten ja arbeiten oder waren als ehemalige Kommunisten im KZ oder sonst wo.

 

Ich wußte wirklich nicht, wie es weitergehen sollte. Auf einem Urlaub bei meinem Onkel Paul, Apotheker in Hemau bei Regensburg, nahm ich in einem unbewachten Augenblick aus dem Giftschrank eine Packung Veronal, ein starkes Schlafmittel. Ich wollte damit, nachdem ich es genommen hatte, in das Meer hinausschwimmen..... Doch fand ich keine Gelegenheit und auch nicht den Mut.

 

Erst ein halbes Jahr später, als ich gar nicht mehr weiter wußte, nahm ich die Tabletten im Bett. Der Erfolg war katastrophal. Mein Magen revoltierte während ich schlief und nach 12 Stunden fand ich mich in meiner Kotze vor.

 

Erschrecken daheim, mein Vater kam sofort nach Berlin gereist und großer Rat. Ich sagte, daß ich nicht mehr wolle, verheimlichte aber ihm meine Sehnsucht nach Tätowierungen und der Seefahrt. - Die schnellste Ausbildung schien ein Fahrlehrer für Kraftfahrtzeuge zu sein, der im NSKK leicht zu machen war. Ich fuhr ja gerne Autos. Die Prüfung dort bestand ich auch schnell und gut und wurde als Fahrlehrer in Schwerin eingesetzt. Dort wurden junge Menschen geschult, sie machten ihren Zivil-Führerschein, um gleich beim Militär als Kraftfahrer eingesetzt werden zu können.

 

Es war ganz nett unter den Kameraden, aber mit Tätowierungen war auch nichts. Erst als ich zu einem Kradmeldezug im Sommer 1939 zur Wehrmacht einberufen wurde, sah ich wieder Tattoos. Ich sprach mit denjenigen selbstverständlich, doch es ergab sich nie ein tieferes Gespräch.

 

So ging es auch den ganzen Krieg über. Meist war es ein Betrachten, besonders in Holland, Frankreich und Russland, da ich die Sprachen kaum oder nicht konnte. In Russland sah man manchmal tätowierte Jungens, vielleicht bis zu 10 Jahren alt,  wohl  selbst tätowiert hatten, es sah sehr primitiv aus. Auch russische Gefangene oder Hiwis waren manchmal an den Händen tätowiert. Aber von Kunst konnte da nicht gesprochen werden.

 

1944, als man schon sah, daß alles zu Ende ging, löste ich mich auch innerlich langsam von der familiären Bande. Man sah, daß die ehemaligen guten Kreise veramten und keine Bedeutung mehr hatten. Ich war damals kurz in einer Kaserne in Schwerin. Diese Gelegenheit nahm ich wahr, kaufte mir Nadeln, Federhalter und Pelikantinte bzw. tusche und fing an. Ich wollte doch unbedingt tätowiert sein! Damit es jedoch nicht daheim auffiel, wählte ich die Stelle zwischen dem Glied und dem Bauchnabel. Ein ca. 10 cm großer Anker wurde es. Ich fand es sehr sinnig. Auf dem Klo habe ich mit einer Nadel abwechselnd in die Tusche und in die Haut gestochen, das ging aber nicht gut, so nahm ich die Tusche direkt auf die Haut und stach ziemlich blindlings ein. Da ich später eine Nadelbündel nahm, wurden es breite Striche. Aber ich war's dann zufrieden, war ich doch endlich tätowiert und es war gut zu sehen.

 

Man sah es ja nur beim Duschen und die Kameraden bewunderten meinen Anker sehr. Jedoch ein Kamerad hatte es noch besser gekonnt. Er hatte auf der Innenseite des Oberschenkels einen großen Frauenkopf eingestochen. Dieser streckte die Zunge schleckend heraus. Der Penis des so tätowierten Trägers hing nun genau vor der Zunge und es sah so aus, als ob er abgeschleckt würde.

 

Ich habe mich dann in Königsberg, als ich in einem Privatquartier wohnte, weiter selbst tätowiert. Ich suchte lange nach einem Tätowierer, fand aber keinen. Und Matrosen, die ich ansprach, konnten oder wollten mir nicht helfen. Als Rechtshänder begann ich natürlich auf dem linken Arm. Es wurde erst ein kleines Herz, dann dieses erweitert zu einem Kleeblatt. Auf der Außenseite ein einfaches Schwert in 12 cm Größe. Auf dem Oberarm links eine Schwalbe, die aber zeichnerisch ganz anders geworden war, als ich sie mir vorgestellt hatte. So um die Ecke herum ist es halt nicht so einfach. Auf dem rechten Unterarm wurde es eine Sonne. So blieb ich bis Kriegsende und war dessen froh.

 

In britischer Gefangenschaft war ich nur kurz in Ostfriesland. Da meine Mutter, nachdem unsere letzte Stadtwohnung in Kiel durch einen Phosphorkanister ausgebrannt war, zu meiner Schwester in das Untermünstertal (südlich Freiburg/Brsg. gelegen) gezogen war, fuhr ich auch dorthin. Man war froh überlebt zu haben und damit beschäftigt, Lebensmittel zu hamstern.

 

Im Haushalt meiner Schwester war ein Mädchen aus dem Münstertal tätig, Elsa geheißen. Meine Mutter, stets um mich sehr besorgt, wollte mich versorgt wissen und sah in ihr eine gute Lebensgefährtin für mich. Gewohnt, stets "ja, Mama!" zu sagen, heiratete ich sie. Geliebt und verlangt habe ich die Frau nie, sondern nur meine Tattoos, die ich bei mir und überhaupt liebe....

 

Vor der Hochzeit fuhr ich einmal nach Hamburg und weiter nach Kiel, um noch einige Sachen, die dort umherstanden, ins Münstertal zu holen. Ich wohnt damals kurz bei einer verheirateten anderen Schwester in Hamburg. Ich wusste damals noch nicht, wer in Hamburg tätowierte und bin auf die Reeperbahn gegangen. Dort sprach ich verschiedene Männer an, die mich entweder für verrückt hielten, dass ich mich tätowieren lassen wolle oder mich selbst tätowieren wollten. Doch das war mir zu riskant. Ich landete schließlich in einer Parallelstraße der Reeperbahn in einer Privatwohnung, wo eine kleine Tätowierstube eingerichtet war. Ich weiß nicht mehr, wie der Tätowierer hieß. Er hatte die ganze innere Handfläche blau, vor lauter probieren der Tätowiernadel. Die Muster von Tätowierungen, die er an den Wänden hängen hatte, waren nicht schlecht.

 

Ich wollte ja nur meine eigenen Tätowierungen überstochen haben und das hat er dann auch ganz gut gemacht. Auf dem rechten Unterarm war ja von mir nur die Sonne. Er setzte darunter verschlungene Hände und Blätterwerk.

 

Auf der linken Seite machte er aus dem Kleeblatt eine Blume und setzte eine rose auf das Schwert. Die Möwe am linken Oberarm wurde durch ein Segelschiff übertätowiert.

 

Das alles wurde in einer Sitzung gemacht, da ich nicht mehr Zeit hatte und gleich von dort aus nach Kiel weiterfuhr. Es reichte mir auch, denn die flächen schwollen ganz schön an, nun es war das übliche Sonnenbrandgefühl.

 

Zurückkehrend staunte meine zukünftige Frau. Ich versuchte zu erklären, dass es doch jetzt besser aussehe als vorher meine Stichelei. Der Schwiegervater fand es wunderbar und war neidisch. Er ließe sich so was auch gerne machen. Meine Schwester verheimlichte ich es so lange es ging. Die Eltern lebten nicht mehr.

 

Meiner Frau waren Tätowierungen an sich nicht fremd, war ihr Großvater 1905 doch auch als Soldat mit Schießpulver, wie er sagte, tätowiert worden. (Diese Tätowierung war bis ins hohe alter hinein erstaunlich kräftig geblieben.) Da jedoch außer alten Soldaten hier in der Gegend nur Fremdenlegionäre tätowiert sind, schämte sich meine Braut meiner und ich durfte die Tätowierungen nicht mehr zeigen. Wozu ist man dann überhaupt tätowiert? Wenn ich alleine war, habe ich immer die Ärmel hochgekrempelt und angegeben. War das schön!

 

Diese Ehe war vom ersten Tage ein Krampf. Bei dem Altersunterschied von 14 Jahren, die ich älter bin, und zumal wir aus grundverschiedenen Welten stammen, ergaben sich keine Berührungspunkte. Nach einem halben Jahr fuhr ich einmal wieder fort, um Lebensmittel zu hamstern. Aber statt nach Würtemberg zog es mich nach Hamburg. Mit einem zwanzigjährigen Menschen, der meine Tattoos bewundert hatte, fuhr ich auf Schleichwegen, der Zonengrenzen wegen, nach Norden. Es klappte auch ganz gut. Der erste Weg war zu Christian Wahrlich, von dessen Berühmtheit ich inzwischen aus den Zeitungen wusste.

 

Christian war etwas grantig, da er in der Zeit nie recht schlafen konnte. Ich weiß nicht, ob sich das nachher wieder legte. Jedenfalls hat er mich tätowiert. In der ersten Sitzung die Seejungfrau auf dem rechten Unterarm innen und die Japanerin auf dem rechten Oberarm. Alle Woche ging ich zu ihm um mich tätowieren zu lassen. Er machte nie mehr als zwei Stücke auf einmal. So ergänzte ich die Unterarme vorne, er setzte auch in die bereits vorhandenen Flächen wieder die Farben ein, die nicht gehalten hatten und brachte schließlich die Schlange und das Schwert mit rose auf den hinteren Unterarmen an.

 

Ich konnte damals nicht öfters hingehen, da ich selbst – wohl durch mangelhafte Ernährung – sehr an Eiterungen litt. Die kleinste Verletzung wollte nicht recht heilen. Ich muß aber zur Ehre von Chrischan sagen, dass die Tätowierungen alle ohne Schwierigkeiten abgeheilt sind. Ich war schon für die Brusttätowierung bestellt, da verpatzte ich alles.

 

So etwas regte sich wohl mein Gewissen, dass ich ohne Nachricht abgefahren war, (man hatte inzwischen auch schon bei der Polizei eine Vermisstenmeldung losgelassen) und suchte meine zweite Schwester in Hamburg auf, die dort verheiratet war. Großes Erstaunen., usw. usw.....

Das Ende war, dass ich also wieder ins Münstertal zurückfuhr und damals aus einer Scheidung – die wohl eher möglich gewesen wäre, da noch keine Kinder da waren – nichts wurde. Mein Münstertäler Schwager kandidierte damals um den Bürgermeisterposten und er konnte keinen Familienskandal gebrauchen. Also meiner Schwester zuliebe, die heute als Witwe in Berlin wohnt, kam ich wieder zurück. Ich wurde überzeugt, dass ich  - nun einmal zur Ehe ja gesagt  -  auch dazu stehen müsse.

 

Es ist ein verpatztes Leben, man lebt so dahin, verdient ohne Freude seine Brötchen. Ich habe mir oft Gedanken darüber gemacht, ob ich nicht doch abartig Veranlagt bin. Aber wie weit geht das? Der Wunsch tätowiert zu sein, ist doch keineswegs abartig ---- meine ich! Ich glaube, denn meine Frau etwas Verständnis für meine Tattoos und die Kunst der Tätowierung überhaupt aufbringen würde, könnten wir eine sehr glückliche Ehe geführt haben. Aber so.....

 

Es bleibt die einzige Hoffnung, dass vielleicht in einem künftigen Leben einem die Gnade erwiesen wird, dass man glücklich seinen Neigungen, ohne dauernde Rücksichtnahme auf andere oder die Gesellschaft nehmen zu müssen, nachgehen kann.

 

Bad Bellingen, den 25. September 1968

 

 
     
   

1968 - 1986