16 Jahre später:

   

Man kann es fast nicht glauben, ich lebe jetzt mit meinem lieben, volltätowierten Freund Herbert Hoffmann zusammen in dessen wunderschönem Haus in der Schweiz und ich bin restlos glücklich. Natürlich bin ich inzwischen auch von Kopf bis Fuß voll tätowiert und es haben auf meiner Haut nur noch einige Sternchen Platz.

 

Doch das kam so:

 

Wie gesagt, vor 16 Jahren war ich noch restlos unglücklich und einem erneuten Selbstmordversuch nahe. Wir wohnten inzwischen in Bad Bellingen, wo meine Frau in einem gemieteten Haus eine Fremdenpension betrieb. Ich arbeitete als Einkaufsleiter in einer Apparatebau-Firma und verdiente dort nicht schlecht. Elsa, wie meine Frau hieß, war aber nie zufrieden und kam auch mit dem Geld nie aus. So wollte sie mit der Pension etwas dazuverdienen. Ich jedoch mußte nach Feierabend ihre Pensionsarbeit machen und das Frühstücksgeschirr z.B. nachmittags, wenn ich nach Hause kam, abwaschen, oder Angebotsbriefe schreiben oder Gäste mit dem Wagen umherfahren. Kein Wunder, daß ich mich mit dem Gedanken befasste mit dem „Käfer“, den wir inzwischen hatten, mit 100 Sachen gegen eine Mauer zu rasen. Doch heute sage ich, glücklicherweise kam es nicht dazu.

 

Heimlich sammelte ich Fotos von tätowierten Männern. Ich blätterte alle Zeitungen und Zeitschriften durch, um zu sehen, ob irgendwo ein tätowierter Arm zu sehen war. Wie war ich glücklich, wenn ich etwas fand. So fand ich auch einmal die Anschrift des Tätowierers Ole Hansen in Kopenhagen, den ich wegen Fotos anschrieb. Er verwies mich an Herbert Hoffmann in Hamburg, der die größte Tätowiersammlung besäße.

 

Über eine postlagernde Adresse in Heitersheim (es lag auf halbem Weg zu meiner Arbeitsstelle) habe ich dann mit Herbert Verbindung aufgenommen, der mir auch gleich ausführlich und lieb unter Beifügung von Fotos antwortete. Es entwickelte sich dann eine ausführliche Korrespondenz, in deren Verlauf ich Herbert meine Situation, Träume und Wünsche schilderte. Dabei ist auch der erste Teil des „Tätowierter Lebenslauf“ entstanden. Ich schrieb diesen, um mich Herbert gegenüber bekannt zu machen. Herbert fasste Vertrauen zu mir und lud mich zu sich nach Hamburg ein.

 

Das war jedoch nicht so einfach, denn Elsa durfte ja nichts davon wissen. Glücklicherweise hat mich aber meine Schwester Olga, die damals in Berlin wohnte zu sich eingeladen. Elsa wurde natürlich auch eingeladen, konnte aber der Pension wegen nicht fort. So ließ sie mich schweren Herzens fahren, da sie sich meiner Schwester gegenüber keine Blöße für ihre Hartherzigkeit geben wollte.

 

In Berlin schüttete ich meiner Schwester gegenüber mein Herz aus. Sie hatte Verständnis und schlug mir vor, nach Hamburg zu fliegen und mir Herbert und sein Geschäft anzusehen. So flog ich nach Hamburg. Daß ich dort meinen Flugschein verlor und Herbert ihn mir ersetzte, sei nur am Rande bemerkt.

 

In Hamburg wurde ich nicht nur von Herbert, sondern besonders auch von seinem Freund Jakob Acker und Harry Hirsch sehr gastfreundlich und lieb aufgenommen. Ich fühlte mich gleich wie daheim. Kein Wunder, war ich doch unter Tätowierten.

 

Ganz vier Tage blieb ich dort. Es gab für mich nur Thema 1: Die Tätowiererei. Ich habe wohl selten soviel gesprochen und gefragt, wie an jenen Tagen.

 

Nun wurde natürlich hin und her überlegt, wie man mir helfen könne. Angesichts meiner Verzweiflung war ich entschlossen, mich von der Familie und meiner Stellung zu lösen. Herbert und Jack wollten mich bei sich aufnehmen.

 

Sorgfältig wurde meine „Flucht“ vorbereitet. Ein ganzes Jahr lang. Keiner durfte etwas ahnen. Der Pensionsvertrag, den auch ich mit unterschrieben hatte, lief noch ein Jahr. So lange mußte ich also noch warten. Während dieser Zeit wurde noch mancher liebe Brief mit Herbert und seinen Freunden gewechselt. Diese Briefe gaben mir inneren Auftrieb durchzuhalten.

 

Es ist auch alles gut gegangen. Ich habe bei meinem Arbeitgeber gekündigt und offiziell eine neue Stellung angenommen, die ich aber in Vereinbarung mit dem Inhaber der neuen Firma nie angetreten habe. Das war alles Tarnung gegenüber meiner Frau. Es hat auch schließlich und endlich alles gut geklappt, keiner, der davon wußte, hat mich verraten, denn alle lieben Schutzengel haben mir wohl dabei geholfen.

 

Am 23. Dezember 1970, dem letzten Arbeitstag bei meiner alten Firma bin ich dann, anstatt dorthin zu fahren, zum Bahnhof gefahren und habe mich in den Zug nach Hamburg gesetzt. Einem Rechtsanwalt hatte ich die Wagenschlüssel übergeben und ihn beauftragt, meine Frau am gleichen Tage noch von meiner „Flucht“ zu informieren.

 

Meinen Kindern gegenüber hatte ich kein schlechtes Gewissen. Sie waren aus den Kinderschuhen herausgewachsen, und ich hatte ihnen an Erziehung und Bildung gegeben, was ich ihnen geben konnte.

 

Von da an fing für mich ein neues Leben an. Ich wurde von „Hoffmann & Cie“ sehr liebevoll aufgenommen und umsorgt. Ich hatte ja nur das mitnehmen können, was ich auf dem Leibe hatte. Ich habe dann noch ein Jahr lang in einem Büro unlustig gearbeitet, bis ich durch Herberts Anregung hin nach einem Jahr Arbeitslosigkeit Frührentner wurde.

 

So war ich dann ganz frei und konnte meiner Neigung leben. Und das war: Im Tätowiergeschäft mitzuhelfen. Ich weiß nicht mehr, wie viel Schablonen ich gezeichnet habe, bis ich es wagte, eine Tätowiermaschine in die Hand zu nehmen. Herbert musst mich wieder einmal zu meinem Glück verhelfen und mich „ins Wasser stoßen“. Das heißt, er wollte in Urlaub fahren und ich sollte dann alleine die Kunden bedienen. Nun, es kam, wie es kommen mußte, ich fand mich dann allein im Geschäft und mein erster Kunde wollte ein Anker haben, eines der schwierigsten Motive überhaupt, wegen der geometrischen Figur. Nun, der Kunde war zufrieden und ich auch. Von da an ging es bergauf und ich habe in den Folgejahren viele schöne Tätowierungen gemacht.

 

Es macht mich besonders glücklich, wenn ich spürte, daß die Kunden mit meiner Arbeit zufrieden waren. Besonders war ich glücklich, daß ich der Tätowierkunst wieder zu weiterer Verbreitung verhelfen konnte.

 

Zwölf Jahre habe ich so mit Herbert zusammen gearbeitet, in froher Gemeinschaft mit Jack und Harry. Es war eine Zeit ungetrübter Freude.

 

Herbert und Jack siedelten dann in das schöne Haus in die Schweiz über, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Der liebe Harry war inzwischen verstorben. So habe ich das Geschäft weitergeführt bis auch ich abgelöst werden konnte.

Mein übrig gebliebenes Geld schickte ich zu meiner Schwester nach München. Sie hatte auch nur eine kleine Witwenrente, die ich dadurch ein wenig aufbessern konnte.

 

Ich habe das Geschäft von 1982 bis Ende 1983 weitergeführt. Unterstützt wurde ich von einem Bekannten von Herbert, dessen Namen ich leider nicht mehr weis. Ich bin mit dem nie so richtig warm geworden und er betrachtete die Tätowiererei nur als gute Geldquelle. Er selbst war nicht tätowiert, was bei den Kunden unangenehm auffiel.

 

Am 1.1.1994 übernahm dann Ernst Günter Götz das Geschäft und führt es seid her mit gutem Erfolg. (http://www.aelteste-taetowierstube.de/)

 

Und zu wem zog es mich wohl anschließend? Natürlich zu meinen Freunden in die Schweiz.

So lebe ich nun hier, 73-jährig mittlerweile und bin restlos glücklich und zufrieden. Warum wohl? Natürlich nur, weil wir nur für die Tätowierung leben.

 

Dank..... dank.... dank....!

 

Im August 1986

     
   

     
   

1986 - heute